Die aktuelle Werkreihe großformatiger Kohlezeichnungen kreist um das Motiv der Tür: In verschiedenster Form allgegenwärtig in unserem Alltagsleben, stehen Türen zugleich sinnbildlich für den Übergang zu neuen Wegen und Handlungsräumen. Doch sind die dargestellten Türen in der Regel geschlossen, in wenigen Fällen öffnen sie sich in ein undurchdringliches Dunkel. Der imaginäre, nicht sichtbare Raum jenseits der Schwelle wird zur Projektionsfläche für individuelle Assoziationen der Betrachter*innen. Mehr noch: Teils scheinen die Türen in Auflösung begriffen, gehen in den Bildgrund über oder werden von weiteren Darstellungsebenen überlagert, sodass sie kaum noch auszumachen sind. Hierin deutet sich die für mich persönlich wichtigste Bedeutungsdimension des Motivs an: dass die Chance, neue Wege einzuschlagen, zunächst erkannt werden muss, um sie wahrnehmen zu können.
Kombiniert werden die Türdarstellungen mit liegenden weiblichen Aktfiguren und Graffiti – Motive, die auf gänzlich gegensätzliche Sphären verweisen: Der Akt ist fest in der akademischen Kunsttradition verwurzelt und suggeriert zugleich ein intimes Umfeld. Graffiti dagegen erscheinen als subversiver gestalterischer Eingriff in öffentlichen Raum jenseits jeglichen Kunstkanons. Mit der Verbindung dieser Motive gehen verschiedene Darstellungsarten einher: Im Spiel von Licht und Schatten mit fein abgestuften Grautönen modelliert, werden die Türen in detailgetreuem Realismus wiedergegeben. Die Aktfiguren hingegen sind stark linear aufgefasst und vor allem durch ihre prominenten schwarzen Konturen definiert. Ausschnitthaft in variierenden Blickwinkeln ins Bild gesetzt, erscheinen die Körper in extremer perspektivischer Verkürzung. Die Graffiti schließlich werden ihrer Farbigkeit wie auch ihrer ursprünglichen kommunikative Funktion beraubt. Die einzelnen Tags sind kaum auseinanderzudividieren, ihre Botschaften und Bedeutungen nicht mehr zu entschlüsseln. Sie fungieren als rein grafisch-lineares Element in Schwarz oder Weiß, büßen ihre plakative Wirkung zugunsten der Einbindung in den gestalterischen Gesamtkontext ein.
Die verschiedenen Elemente und Bildebenen überlagern und durchdringen sich gegenseitig, sodass ein starker Verfremdungseffekt entsteht: Teils scheinen Hauptmotiv und Grund durch die gleiche Strichqualität in dieselbe Bildebene geholt; die Grenzen zwischen Vorder-, Mittel- und Hintergrund verschwimmen. Linie und Fläche, Figur und Raum erscheinen in einem komplexen Spannungsfeld verschränkt.
Die motivische „Collage“ findet eine Entsprechung im faktischen Zusammenfügen der Bildträger aus unterschiedlichen Materialien: Neben herkömmlichem Papier dient Raufasertapete als Zeichengrund, deren charakteristische Struktur sich teils zeichnerisch in den glatten Bildpartien nachgeahmt findet: Ein Spiel von Sein und Schein entsteht. Hinzu kommen Teile von ausrangierten Türen, Fenstern und Stellwänden, die sämtlich aus Institutionen wie Kunstschulen und Museen stammen, sogar ein Stück Teppich aus einem Ausstellungsraum findet Verwendung – die Materialwahl spielt an auf die Frage, in welchen Räumen und Kontexten Kunst entsteht und betrachtet wird.
Im bewussten Bruch mit Erwartungen fordert die Werkreihe so eingefahrene Sehgewohnheiten heraus, spielt mit gängigen Vorstellung räumlicher Ordnung und lässt eine rätselhaft-irreale Bildwirklichkeit entstehen. Die Kombination nicht sinnhaft zusammengehöriger Motive und verschiedener Darstellungsmodi vom Fotorealistischen bis zum betont Grafischen, vom Detailgetreuen bis zum Kürzelhaften zeigt nicht nur die Bandbreite an Gestaltungsmöglichkeiten auf, die mir als Künstler zur Verfügung stehen. Meine Arbeiten hinterfragen damit auch grundlegende Mechanismen von Abbildlichkeit und Abstraktion. Sie führen zurück zu der für mich zentralen Frage nach dem eigenen künstlerischen Weg, versinnbildlicht im Motiv der Tür.
Eindrücke der Diplom-Ausstellung und Arbeiten an der Freien Kunstschule Stuttgart im Mai 2023: