Türen aller Art stehen im Zentrum der aktuellen Werke von Moritz Dümmel: Sie sind Sinnbild des Übergangs zu anderen Räumen, laden ein, neue Wege einzuschlagen. Der junge Stuttgarter Künstler (*1999) kombiniert sie in monumentalen Kohlezeichnungen und Wandobjekten mit Aktfiguren und Graffiti – Motive aus gänzlich gegensätzlichen Sphären: Deutet der Akt ein intimes Umfeld an, so verweisen die Tags auf den öffentlichen Raum.
Auch gestalterisch schafft Dümmel überraschende Verbindungen; Detailgetreues trifft auf Kürzelhaftes, verblüffender Fotorealismus auf grafische Reduktion. In der gegenseitigen Überlagerung und Durchdringung der Elemente entstehen rätselhaftirreale Bildwelten, die Sehgewohnheiten herausfordern und Alltäglich-Vertrautes in neuem Licht erscheinen lassen.
Eindrücke der Ausstellung und der Vernissage:



























Hintergründe zur Ausstellung:
« […] Auf den ersten Blick scheint die Sache eindeutig: Minutiös gibt Moritz Dümmel eine schlichte, zweiflügelige Kassettentür in einer monumentalen Kohlezeichnung wieder. Was hinter der geschlossenen Tür liegt, bleibt im Dunkeln – die Fensteraussparungen im oberen Drittel zeigen nichts als Schwärze. Einzig ein kleiner Schlüssel, der rechts an der ansonsten kahlen Wand hängt, verspricht Zugang zum Verborgenen. Doch fällt bei genauerer Betrachtung auf, dass der Tür sowohl Klinke als auch Schlüsselloch fehlen. Sie scheint hermetisch verschlossen und so in ihrer eigentlichen Funktion als Durchgang ad absurdum geführt. Der Künstler selbst spricht daher von einer „Un-Tür“; das fehlende Schlüsselloch liefert er in einer separaten Arbeit nach. Riesenhaft vergrößert, scheint es zu voyeuristischen Blicken einzuladen – doch auch hier trifft der Blick auf undurchdringliche Schwärze.
Immer wieder bricht Moritz Dümmel so gezielt mit den Erwartungen der Betrachter*innen: Türen und Durchgänge unterschiedlichster Form und Gestalt, sowie das ein oder andere Fenster, stehen im Zentrum seiner aktuellen Werkreihe „An der Schwelle“. Das Motiv hat eine lange kunstgeschichtliche Tradition, wurde bevorzugt benutzt, um Durchblicke und Raumfluchten zu inszenieren. Genau dies verweigert uns Dümmel jedoch, in seinen Werken lassen die Architekturelemente keinen Bildraum entstehen. Eine Reihe früher Skizzen zeigt zwar Durchgangssituationen, doch so komplex verschachtelt, dass keine wirkliche Tiefenräumlichkeit entsteht. In neueren Arbeiten sind die Türen meist geschlossen, wo sie vermeintlich Einblick gewähren, ist nur undurchdringliche Schwärze oder gräulich-diffuses Licht zu sehen. Der Raum jenseits der Schwelle bleibt stets verborgen und wird so zur Projektionsfläche für ganz individuelle Vorstellungen der Betrachter*innen, quasi ein nicht festgelegter Möglichkeitsraum – denn Moritz Dümmel versteht seine Türen als Sinnbilder für den Übergang zu neuen Wegen und Handlungsräumen.
Obgleich Türen in verschiedenster Form in unserem Alltagsleben allgegenwärtig und wohlvertraut sind, gewinnt der Künstler dem Motiv neue, unerwartete Seiten ab. Mal werden sie ganz subtil verändert wie im Werk hinter mir, mal deutlich verfremdet: Sie sind in Auflösung begriffen, gehen in den Bildgrund über oder werden von weiteren Motiven und Darstellungsebenen überlagert. Über und über ist etwa die Tür einer S-Bahn von Graffiti bedeckt, sodass sie kaum noch auszumachen ist; eine schlichte Haustür erscheint umgeben von wilden Tags. Die handgeschriebenen, stilisierten Namenszüge der Graffitikünstler*innen verleihen der Darstellung Dynamik und Spannung, beleben die ärmliche und schon etwas heruntergekommene Fassade. Darstellungen wie diese basieren auf realen Beobachtungen im öffentlichen Raum. Dabei kopiert Dümmel die Schriftzüge nicht einfach, sondern eignet sie sich gestalterisch an, verfremdet und entwickelt sie weiter.
In anderen Werken werden die Tags frei mit weiteren Motiven kombiniert und in neue Kontexte eingebunden. Eigentlich ein Phänomen des Außenraums, erscheinen sie auch in Verbindung mit Innenraumtüren. Hinzu kommen immer wieder Aktfiguren – zunächst liegende weibliche Körper in entspannter Haltung, in neuesten Arbeiten auch androgyne oder männliche Gestalten von tänzerischer Bewegtheit. Grafisch-reduziert mit prominenten schwarzen Umrisslinien wiedergegeben, treten sie in spannungsvollen Dialog mit den dynamischen Graffiti-Schriftzügen. Moritz Dümmel bringt so Motive zusammen, die auf gänzlich gegensätzliche Sphären verweisen: Der Akt ist fest in der akademischen Kunsttradition verwurzelt (Aktzeichen war auch ein zentraler Bestandteil von Dümmels Ausbildung). Zugleich suggeriert gerade der entblößte, ruhende Körper ein intimes, womöglich privates Umfeld. Graffiti dagegen sind üblicherweise im öffentlichen Raum verortet, sie erscheinen als subversiver gestalterischer Eingriff jenseits jeglichen Kunstkanons.
Nicht nur mit disparaten Motiven, auch gestalterisch schafft Moritz Dümmel überraschende Verbindungen: Die Türen sind in detailgetreuem Realismus wiedergegeben, werden im Spiel von Licht und Schatten mit fein abgestuften Grautönen plastisch modelliert. Die Aktfiguren hingegen sind stark linear aufgefasst, sie werden ausschnitthaft in variierenden Blickwinkeln ins Bild gesetzt, erscheinen teils in extremer perspektivischer Verkürzung. Die Graffiti schließlich werden nicht nur ihrer Farbigkeit beraubt, sondern auch ihrer ursprünglichen kommunikativen Funktion: Die einzelnen Tags sind kaum auseinanderzudividieren, ihre Botschaften und Bedeutungen nicht mehr zu entschlüsseln. Sie fungieren als rein grafisch-lineares Element in Schwarz oder Weiß, büßen ihre plakative Wirkung zugunsten der Einbindung in den gestalterischen Gesamtkontext ein.
Die verschiedenen Elemente und Bildebenen überlagern und durchdringen sich gegenseitig: Hauptmotiv und Beiwerk werden durch die gleiche Strichqualität in dieselbe Bildebene geholt; die Grenzen zwischen Vorder-, Mittel- und Hintergrund verschwimmen. Linie und Fläche, Figur und Raum erscheinen in einem komplexen Spannungsfeld verschränkt.
In dieser Überlagerung und Verfremdung deutet sich die für den Künstler wichtigste Bedeutungsdimension des Türmotivs an: dass die Chance, neue Wege einzuschlagen, zunächst erkannt werden muss, um sie wahrnehmen zu können – Moritz Dümmel zitiert hierzu den deutschen Erfinder Werner von Siemens: „Es kommt nicht darauf an, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen, sondern mit den Augen die Tür zu finden.“
Die motivische „Collage“ findet eine Entsprechung im faktischen Zusammenfügen der Bildträger aus unterschiedlichen Materialien: Neben herkömmlichem Papier dient Raufasertapete als Zeichengrund. Die Papierränder sind bewusst krumm und schief belassen, teils sind die Abrisskanten sichtbar – die Bildträger verweisen so auf den Arbeitsprozess. Hinzu kommen Teile von ausrangierten Türen und Fenstern (auch diese verfremdet und fragmentiert), die sämtlich aus Institutionen wie Kunstschulen und Museen stammen. Auch ausrangierte Stellwände werden zum Bildträger umfunktioniert. Moritz Dümmel geht es dabei nicht nur um Upcycling. Die Materialwahl spielt vielmehr an auf die Frage, in welchen Räumen und Kontexten Kunst entsteht und betrachtet wird. Zugleich verschwimmt die Grenze zwischen Zeichnung und Objekt, etwa, wenn Dümmel ein minutiös in Kohle festgehaltenes Fenster mit einer grauen Lattenkonstruktion kombiniert, die von einem hölzernen, mit Graffiti bedeckten Bauzaun inspiriert ist. In einem weiteren Objekt verbindet er ein zerteiltes, kopfstehendes Türblatt mit einem Fensterrahmen. Die rechteckige Öffnung direkt darunter ist so realistisch gezeichnet, dass sie das Auge täuscht.